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Wenn es einen Punkt gibt, auf den man sich beim so wendigen Markus Söder in der Vergangenheit verlassen konnte, dann war es seine unverbrüchliche Treue zur Schuldenbremse. Keine Aufweichung der Kreditregel, keine Lockerung, keine Politik auf Pump. So lauteten, ein wenig verdichtet, die Wortmeldungen, die vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden aus den vergangenen Jahren überliefert sind.
Seit jedoch die CSU-Schwesterpartei CDU zumindest intern und noch sehr vorsichtig über eine Reform des Grundgesetzartikels 115 diskutiert, klingt auch Söder plötzlich regelrecht vielschichtig. Auf die Frage, was er von den allgegenwärtigen Forderungen nach einer Reform der Schuldenbremse halte, sagte er jetzt im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: „Als Erstes müssen wir über den Länderfinanzausgleich reden. Diese einseitige Benachteiligung Bayerns kann ich auf Dauer nicht akzeptieren. Wer also über Geld mit uns reden will, muss auch über den Länderfinanzausgleich verhandeln.“ Zudem müsse die in der Verfassung verankerte Kreditregel im Grundsatz erhalten bleiben, denn: „Ein ungehemmtes Schuldenmachen darf es nicht geben.“
Ein Kanzler Söder stünde vor den gleichen Haushaltsproblemen wie die Ampel
Das klingt nach vielen Wenn und Aber, entscheidend jedoch ist: Der CSU-Chef ist, wenn auch nur unter bestimmten Voraussetzungen, bereit, über „Geld“ zu reden. Eine Reformabsage ist das nicht, noch vor Monaten hätte Söder schon die Frage als abwegig abgetan.
Dass der Ministerpräsident vorsichtig beidreht, hat wohl gleich mehrere Gründe. So weiß auch er, dass angesichts verfallender Straßen und Brücken, des Kriegs in der Ukraine und der immensen Kosten der Energiewende die finanzpolitischen Herausforderungen für den Bund so groß sind wie seit dem Fall der Mauer vor fast 35 Jahren nicht mehr. Noch ist es das Problem der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Nach der Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres aber stünde eine mögliche neue Regierung unter Führung der Union vor den exakt gleichen Haushaltsschwierigkeiten – und ein etwaiger Kanzler Markus Söder gleich mit.
Die Länder unterliegen einem kategorischen Neuverschuldungsverbot
Aus Sicht führender Unionsstrategen ist es deshalb zwingend notwendig, sich schon jetzt für diesen Fall zu wappnen und die bisher starre Haltung zur Schuldenbremse zu überdenken. Die Regel schreibt vor, dass der Bund in wirtschaftlich normalen Zeiten pro Jahr neue Kredite im Gegenwert von höchstens 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen darf, das wären rein rechnerisch derzeit etwa 15 Milliarden Euro. Die Länder unterliegen, außer in Notsituationen, sogar einem kategorischen Neuverschuldungsverbot. Sie müssen also neben ihren regulären Ausgaben etwa für Polizisten, Lehrer und Krankenhäuser auch sämtliche Investitionen in Brücken, Schulen, Digitalnetze und Energiewende aus den laufenden Einnahmen finanzieren.
Nicht nur SPD und Grüne, sondern auch aus Unionssicht weniger verdächtige Ratgeber wie die Bundesbank, die sogenannten Wirtschaftsweisen und der Industrieverband BDI halten daher eine vorsichtige Überarbeitung der Schuldenbremse für sinnvoll.
Auch CDU-intern plädieren mittlerweile alle sechs Länderregierungschefs, die die Partei stellt, für einen pragmatischen Umgang mit der Frage oder gar für eine grundlegende Reform, allen voran der Regierende Bürgermeister der chronisch klammen Bundeshauptstadt Berlin, Kai Wegner. Selbst Parteichef Friedrich Merz, lange Zeit auf Söder-Linie, agiert nach SZ-Informationen intern weitaus flexibler, als es nach außen den Anschein hat.
Zum Geheimtreffen der CDU war der CSU-Chef zu seinem Ärger nicht eingeladen
Um eine einheitliche, von allen maßgeblich Beteiligten mitgetragene Strategie zu konzipieren, empfing Merz die CDU-Ministerpräsidenten Mitte Mai und Mitte Juni zu zwei Geheimtreffen in Berlin. Dabei deutete sich einerseits an, dass die Christdemokraten im Falle eines Wahlsiegs erst einmal einen Kassensturz machen wollen, bevor entschieden wird, ob die Schuldenregel für den Bund flexibilisiert werden muss. Im Fall der Länder ist hingegen bereits klar, dass mittelfristig mehr finanzieller Spielraum nötig sein wird. CDU-intern diskutiert werden sowohl eine Aufhebung des absoluten Kreditverbots als auch die Bereitstellung von mehr Bundesmitteln für die Länder.
Dass Merz weder Söder noch dessen Berliner Statthalter Alexander Dobrindt zu den Geheimtreffen einlud, erregte dem Vernehmen nach bei den bayerischen Kollegen massiven Ärger. Dennoch signalisiert der CSU-Chef jetzt Gesprächsbereitschaft, nutzt die Gelegenheit aber zugleich, um ein altes Steckenpferd zu reaktivieren: eine Reform des Länderfinanzausgleichs.
Söder weiß dabei auch den hessischen CDU-Amtskollegen Boris Rhein auf seiner Seite, denn Bayern und Hessen zahlten vergangenes Jahr zusammen rund 12,5 Milliarden Euro oder fast 70 Prozent in die Solidarkasse der Bundesländer ein. Mit Abstand größter Hilfeempfänger war wiederum Berlin.
„Im Bundesrat gäbe es wahrscheinlich eine Mehrheit für eine Aufweichung“ der Schuldenbremse, sagte Bayerns Ministerpräsident der SZ. „Aber im Bundestag ändert sich ohne die CSU nichts“, betonte er mit Blick darauf, dass beide Parlamentskammern eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit billigen müssten.
Söders Berliner Amtskollege Wegner dürfte die Verknüpfung beider Themen alles andere als recht sein, denn bei Verabschiedung eines solchen Pakets könnte sein Stadtstaat zwar vielleicht mehr Kredite aufnehmen als heute, erhielte aber zugleich weniger Zuschüsse aus dem Länderfinanzausgleich. Auch mehrere andere Regierungschefs von CDU und SPD, die eine Reform der Schuldenbremse befürworten, zugleich aber Milliardensummen aus dem Solidartopf der Länder erhalten, könnten angesichts solcher Perspektiven noch einmal ins Grübeln geraten.