Zwischen Ja und Nein lag nicht viel Zeit. Bundestagsabgeordnete, die am Freitagmittag nach der Verabschiedung des sogenannten Sicherheitspakets in die Kantine geeilt waren, hatten noch nicht den Nachtisch gekostet, als auf ihren Handys erste Nachrichten davon eintrafen, was keine zwei Kilometer weiter im Süden Berlins passiert war.
Das Gesetzeskonvolut, das die Ampelkoalition soeben noch unerwartet bequem durch den Bundestag gebracht hatte, fiel dort, im Bundesrat, durch – jedenfalls in Teilen. Was bedeutet das für die Gesetze, mit denen die Bundesregierung auf die Messermorde von Solingen reagierte? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was steckt eigentlich in diesem Sicherheitspaket?
Es enthält formal zwei Gesetze. Das erste hat die Bundesregierung „Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ getauft. Es enthält neue Regeln für Asylbewerber und eine Verschärfung des Waffenrechts. Unter anderem streicht es Flüchtlingen, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert wurden, die Sozialleistungen zusammen.
Es erlaubt den Bundesländern, Waffenverbotszonen einzurichten, und schränkt das Mitführen von Messern in solchen Zonen sowie in Bussen und Bahnen ein. Das zweite Gesetz gilt laut Titel der „Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“. Es erlaubt dem Bundeskriminalamt (BKA) den Einsatz automatischer Datenanalysen und Gesichtserkennung, etwa um Verdächtige zu identifizieren. Zudem gibt es der Bundespolizei weitreichende Befugnisse zur Kontrolle von Personen in Waffenverbotszonen.
Welchen Teil hat der Bundesrat abgelehnt?
Das zweite Gesetz, das zur Terrorismusbekämpfung, erhielt in der Länderkammer nicht die erforderliche absolute Mehrheit.
Warum fiel dieser Teil durch und der andere nicht?
Das liegt an den Regeln der Gesetzgebung. Eigentlich geht den Unionsparteien das gesamte Sicherheitspaket nicht weit genug. Im Bundestag hat die CDU/CSU-Fraktion komplett dagegen gestimmt. Im Bundesrat war jedoch nur das Terrorismus-Gesetz zustimmungspflichtig, das zur inneren Sicherheit und zu Asyl dagegen nicht.
Das bedeutet: Das zustimmungspflichtige Gesetz benötigte eine absolute Mehrheit in der Länderkammer – die es jedoch nicht bekam, weil Länder mit Regierungen, an denen die Union beteiligt ist, es entweder ablehnten oder sich enthielten. Umgekehrt fand sich auch keine Mehrheit dafür, gegen das andere, nicht zustimmungspflichtige Gesetz den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anzurufen und damit sein Inkrafttreten zu verzögern, weil sich nun die Länder mit Regierungsbeteiligung der Ampelparteien zumindest enthielten.
Was passt der Union nicht an dem Paket?
Vor der Länderkammer sprach der bayerische Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) von einem „wachsweichen Sicherheitspaket“, ja von einem „Unsicherheitspaket“. Er legte im Bundesrat einen Antrag vor, der so ziemlich alles enthielt, was sich die Unionsparteien wünschen: noch mehr Befugnisse für die Polizei, noch härteres Vorgehen gegen Fluchtmigration.
Unter anderem fordert die CSU-Landesregierung darin eine Vorratsdatenspeicherung für die Internetfahndung statt der von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) avisierten „Quick Freeze“-Lösung. Sie will einen Sofort-Arrest für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan, Einreiseverweigerungen an der Grenze, kein Bürgergeld mehr für Ukraine-Flüchtlinge und die Rücknahme der Reform, mit der die Ampel den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert hat. Der Antrag fand keine Mehrheit im Bundesrat.
Wie geht es nun weiter?
Das ist nur für das Gesetz zur inneren Sicherheit und zu Asyl klar zu sagen: Es hat beide Kammern des Parlaments passiert und kann in Kraft treten – mit den neuen Messer-Regeln im Waffengesetz, den Waffenverbotszonen und den Leistungsstreichungen für manche Flüchtlinge. Was mit dem durchgefallenen Gesetzesentwurf geschieht, der den Sicherheitsbehörden den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) bei Datenabgleichen und Gesichtserkennung ermöglichen sollte, ist noch offen. Die Bundesregierung könnte den Vermittlungsausschuss anrufen und dort Kompromisse ausloten lassen.
Wird das geschehen?
Das ist noch nicht klar. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat zwar angekündigt, sie wolle „jetzt mit den Ländern weiter beraten“. Die geplanten Befugnisse für die Ermittlungsbehörden seien „absolut notwendig“. Auch aus der Union kamen Signale der Kompromissbereitschaft – denn eigentlich will die Union ja diese neuen Befugnisse für die Polizei. Man könne noch in diesem Jahr zu einer Einigung kommen, sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) dem Deutschlandfunk. Nur: Dafür entschieden, den Vermittlungsausschuss tatsächlich anzurufen, hat sich die Bundesregierung noch nicht. Womöglich wird das Thema auch auf der Ministerpräsidentenkonferenz in Leipzig, die von Mittwoch bis Freitag dauert, diskutiert.
Was steckt hinter diesem Zögern?
Einen KI-Einsatz der Polizeibehörden und das Aufrüsten der nötigen Datenbanken technisch und rechtskonform umzusetzen, ist kompliziert und könnte neuen Streit in die Ampel bringen. Ohnehin dürften BKA und Bundespolizei ihre neuen Befugnisse erst nutzen, wenn das überwachungsskeptische Justizministerium per Rechtsverordnung erklärt, wie das im Detail aussehen soll. Die Ampelkoalition könnte stattdessen versucht sein, das Scheitern des Vorhabens der Union zuzuschieben. Die habe sich dem ja, so kritisierte Faeser in der Rheinischen Post, „ohne jeden vernünftigen Grund in den Weg“ gestellt.