Die Tote ist in bunte, verzierte Tücher gewickelt. Sie kauert wie ein Fötus und trägt eine Kette mit goldenen Plättchen um den Hals sowie eine ebenso goldene ornamentale Maske vor den Augen. Ihr Körper war bei der Bestattung mit Gegenständen in einen Weidenkorb gelegt worden, was darauf schließen lässt, dass ihre Kultur an ein Leben nach dem Tod glaubte.
Kleider, Steinschleudern, Nüsse und Mais gehörten zu den Dingen, welche die vor 2000 Jahren im Süden Perus lebende Paracas-Kultur ihren Verstorbenen auf die letzte Reise mitgegeben hat. Doch in diesem Fall führte die Reise nicht in das Jenseits, an das die Menschen von Paracas glaubten, sondern ins Madrider Museo de América.
Nun soll Schluss sein mit dieser Form der Zurschaustellung menschlicher Überreste, findet Spaniens linker Kulturminister Ernest Urtasun. Von dieser Woche an wird die Paracas-Mumie genauso wie viele weitere Artefakte in den staatlichen Museen Spaniens für Besucher nicht mehr zugänglich sein.
Vor einem Jahr hatte der Minister eine Aufstellung all der menschlichen Überreste in Auftrag gegeben, die zum Inventar der staatlichen Museen gehören. Herausgekommen ist ein Katalog mit fast 15 000 Exponaten, deren Zurschaustellung überprüfenswert sei. Gemäß einer Richtlinie des Ministeriums sollen solche Überreste nurmehr gezeigt werden, wenn dies „unerlässlich“ sei.
Nach Informationen der Zeitung La Vanguardia werden seit dieser Woche in mehreren bekannten Museen Spaniens entsprechende Ausstellungsstücke aus dem Besucherbereich entfernt. Betroffen ist zum Beispiel ein Skelett im Nationalmuseum für römische Kunst in Mérida. Im Nationalmuseum von Altamira wurde ein Schädel aus der Kupfersteinzeit eingelagert und durch eine Reproduktion ersetzt.
Der Vorstoß könnte auch andere anregen
Während man über die Wahrung der Totenruhe bei Knochen aus der Steinzeit geteilter Meinung sein kann, sind die ethischen Bedenken des Ministers in einigen Fällen durchaus nachvollziehbar. Besonders eindrucksvoll, aber fortan ebenfalls den Blicken der Öffentlichkeit entzogen, ist zum Beispiel die gut erhaltene Leiche eines Guanchen im Archäologischen Nationalmuseum Spaniens. Der Ureinwohner Teneriffas liegt mit üppigem Haar, geschlossenen Augen und leicht geöffnetem Mund auf dem Rücken. Betrachter beschleicht unweigerlich das Gefühl, eine Intimsphäre zu verletzen.
Der Vorstoß Spaniens könnte weitere Museen Europas anregen, ihre ethischen Standards im Umgang mit menschlichen Überresten zu überprüfen. Im Nationalmuseum von Irland beispielsweise sind erstaunlich gut erhaltene Moorleichen aus keltischer Zeit in eigens dafür gestalteten Ausstellungsbereichen zu sehen.
„Die Diskussion, ob es unter ethischen Gesichtspunkten vertretbar ist, Mumien auszustellen, gibt es seit längerer Zeit auch in Deutschland“, sagt Paul Scheding, Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Madrid. Für die Wissenschaft seien Mumien aufschlussreiche Quellen über das menschliche Leben in der Vergangenheit. „Mit ihrer Ausstellung kann zudem wichtige Forschung einem breiten Publikum vermittelt werden. Zugleich lässt sich die Ausstellung menschlicher Überreste kritisch betrachten. Naturgemäß liegt dafür keine Genehmigung der Verstorbenen vor.“