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Es wird nicht einfach, Südkoreas inneren Frieden herzustellen. Das spüren die Vertreter der Behörden in diesen Tagen besonders deutlich, in denen sie versuchen, den suspendierten Präsidenten Yoon Suk-yeol zu verhaften. Dreimal hatte das eigens für solche Fälle eingerichtete Amt für Korruptionsermittlungen gegen hochrangige Offizielle (CIO) Yoon vorgeladen, um ihn zu seinem Putschversuch vom 3. Dezember zu befragen, bei dem er das Kriegsrecht gegen vermeintliche „staatsfeindliche Kräfte“ ausgerufen und das Parlament mit Soldaten bedroht hatte. Dreimal erschien Yoon nicht. Der Haftantrag durch das CIO war die logische Folge. Ein Gericht in Seoul gab diesem am Dienstag statt.
Aber als die Polizei den Haftbefehl am Donnerstag vollziehen wollte, stellten sich Tausende Demonstranten in den Weg. Beim nächsten Versuch am Freitag hinderten sie dann zunächst Soldaten daran, die auf dem Gelände stationiert waren, und später Kräfte des präsidialen Sicherheitsdienstes PSS. Das berichtete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap unter Berufung auf die Polizei. Das CIO erklärte am frühen Nachmittag in einer Pressemitteilung: „Wir haben festgestellt, dass die Vollstreckung des Haftbefehls aufgrund der anhaltenden Konfrontation praktisch unmöglich wäre, und haben die Vollstreckung aus Sorge um die Sicherheit des Personals wegen des Widerstands ausgesetzt.“ Der PSS erklärte seinen Widerstand mit „Beschränkungen in abgesicherten Bereichen“.
Bereits vor der Aktion war vermutet worden, dass das Vorhaben scheitern könnte. Vor dem Amtssitz des Präsidenten im Seouler Bezirk Yongsan hatten seit dem Neujahrstag Tausende Anhänger Yoons protestiert und den Zugang für die Ermittler blockiert. Anscheinend wollten sie den Zugriff verhindern. Am Donnerstag meldete Yonhap, dass die Polizei rund 30 Demonstranten an Armen und Beinen davontrug. Aber weiter wollten die Einsatzkräfte wohl nicht gehen, um Tumulte zu verhindern.
Auf Flugblättern spricht Yoon von „staatsfeindlichen Kräften“, die angeblich das Land gefährden
Schwer zu sagen, ob Yoon Suk-yeol, 64, sich noch an seine Ansprache vom 9. März 2022 erinnert. Als Kandidat der konservativen PPP hatte er an jenem Tag mit hauchdünnem Vorsprung die Präsidentschaftswahl gegen den Konkurrenten Lee Jae-myung von der liberalen Demokratischen Partei (DP) gewonnen. Der Wahlkampf war schmutzig gewesen. Yoon sagte im Gefühl des Sieges: „Der Wettbewerb ist vorbei. Wir sollten uns vereinen für die Menschen und die Republik Korea.“ Und heute? Scheint es, als wolle Yoon Suk-yeol genau das Gegenteil von Einheit.
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Mit seiner Kriegsrechtserklärung, die das Parlament in der Nacht zum 4. Dezember nach wenigen bangen Stunden abschmettern konnte, hat Yoon die Demokratieverfechter Südkoreas verschreckt. Danach verweigerte er sich allen Rücktrittsforderungen. Die Abstimmung im Parlament, die im zweiten Anlauf zu seiner Suspendierung führte, entzweite seine Partei. Die Behörden und ihre Ermittlungen ignoriert Yoon. Und offensichtlich findet er es sogar richtig, seine Anhänger aufzuwiegeln gegen die vielen anderen Menschen im Land, die seinen Stil ablehnen; laut Umfragen sind die Yoon-Gegner deutlich in der Mehrheit.
Am Mittwoch ließ Yoon Suk-yeol vor der Präsidentenresidenz Flugblätter verteilen, auf denen er seinen demonstrierenden Anhängern mitteilte: „Korea ist derzeit in Gefahr, weil staatsfeindliche Kräfte sowohl von innen als auch von außen die nationale Souveränität bedrohen.“ Er, Yoon, werde „bis zum Ende kämpfen, um dieses Land zu schützen“. Auch Yoons Rechtsberater Seok Dong-hyeon verbreitete die Botschaft, die es so aussehen ließ, als seien Yoon-Anhänger die Verteidiger von Demokratie und Ordnung. Und sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Am Donnerstag kamen viele Yoon-Fans zur Präsidentenresidenz. Die Sorge wuchs, dass sie diese gewaltsam gegen die Polizei verteidigen würden.
Verschwörungsmärchen kommen in rechtsradikalen Kreisen gut an, deshalb kommt auch Yoon dort gut an. Seine ganze Aktion vom 3. Dezember basiert im Grunde auf Verschwörungserzählungen. Yoon selbst hat längst erklärt, dass er seine Kriegsrechtserklärung nicht als Staatsstreich sieht, sondern als nötiges Mittel des Regierens. Zum Beispiel wollte er damit bei der Wahlbehörde seinem Verdacht nachgehen, dass die heftige Niederlage der PPP bei der jüngsten Parlamentswahl ein Werk nordkoreanischer Hacker war.
Es geht um viel. Eine Anklage könnte Yoon lebenslange Haft einbringen
Aber genau dieser Umstand, dass rechte Kreise Yoons Angriff auf die Demokratie als eine Art Freiheitskampf missverstehen, macht die Lage gefährlich. Zumal Yoon offensichtlich keine Hemmungen hat, sie zu ermuntern. Das zeigte nicht nur seine Botschaft vom Mittwoch. Sondern auch eine Ansage des Yoon-Anwalts Yoon Gap-geun, welche die Korea Times zitierte. Yoon Gap-geun nannte den Versuch des CIO, Yoon Suk-yeol verhaften zu lassen und mit der Polizei die Residenz zu durchsuchen, „illegal“. Er sagte sogar, beteiligte Polizisten könnten vom präsidialen Sicherheitsdienst (PSS) oder von „irgendwelchen Bürgern“ wegen Machtmissbrauchs oder Behinderung der öffentlichen Pflicht festgenommen werden.
Yoon Suk-yeol und seine Anwälte stemmen sich mit großer Kraft gegen das Verfahren der Behörden. Es geht um viel. Eine Anklage wegen Aufstands und Machtmissbrauchs könnte Yoon lebenslange Haft einbringen, im Grunde sogar die Todesstrafe, die in Südkorea aber nicht mehr vollzogen wird. Außerdem scheint Yoon von seiner Sicht überzeugt zu sein. Er nutzt die Vorzüge, die er als suspendierter Präsident immer noch genießt. Bis das Verfassungsgericht darüber entscheidet, ob Yoon das Amt wirklich verlassen muss, wohnt er weiter in der Präsidentenresidenz und wird vom PSS geschützt. PSS-Kräfte verhinderten auch schon frühere Polizei-Razzien in der Residenz im Dezember. Grund: Staats- oder Militärgeheimnisse könnten so in Gefahr geraten.
Yoon-Kritiker gibt es genügend. Gerade seine jüngste Botschaft kam bei vielen schlecht an. „Anstatt über sich selbst nachzudenken, stachelt der Präsident zum Bürgerkrieg an“, sagte zum Beispiel DP-Fraktionschef Park Chan-dae. Der PPP-Abgeordnete Kim Sang-wook mahnte: „Yoon muss aufhören, unsinnige Ausreden zu erfinden.“ Aber solche Stimmen hört Yoon Suk-yeol offensichtlich nicht. Und seine Anhänger wirken kompromisslos.
Dass am Donnerstag so viele von ihnen vor der Präsidenten-Residenz erschienen, beeindruckte die CIO-Ermittler. Sie wollten wohl außerdem die rechtlichen Einwände der Yoon-Anwälte klären. Also verschoben sie Yoons Verhaftung auf Freitag – und scheiterten wieder. „Wir bedauern zutiefst das Verhalten des Verdächtigen, der sich geweigert hat, die gesetzlich festgelegten Verfahren einzuhalten“, erklärte das CIO. Über die nächsten Schritte wollen die Ermittler „nach einer Überprüfung“ entscheiden. Der Haftbefehl gilt noch bis Montag.