Die zweitdrängendste Frage war bereits vor Anpfiff geklärt worden: Steffen Baumgart, sein gesamtes Trainerleben berühmt für Schiebermütze auf dem Kopf und Kälteresistenz am Leib, trug im Hamburger Volksparkstadion sein liebstes Modeaccessoire und trotzte im T-Shirt mit der Grußformel «Moin» der norddeutschen Winterkälte. Neu war, dass am Sonntag auf der grauen Schiebermütze eine Raute und die Ziffer 72 aufgestickt waren, das Logo des Hamburger SV und das Geburtsjahr von Steffen Baumgart.
Was die emotionale Komponente angeht, hat der lebenslange HSV-Fan Baumgart bei seinem Debüt als HSV-Coach also alles richtig gemacht. Noch besser war da nur, dass mit Abpfiff auch die wichtigste Frage in seinem Sinne beantwortet wurde: Die Hamburger gewannen ihre Zweitliga-Partie 1:0 gegen den Aufsteiger SV Elversberg, den Treffer erzielte Angreifer Ransford Königsdörffer in der 53. Minute.
Mit Spannung war erwartet worden, welche Elemente seines Vorgängers Tim Walter überdauern und wo Baumgart den Rotstift ansetzen würde, um einen mutigen, aber zugleich stabileren Fußball zu gewährleisten. Zu einem viel diskutierten Debattenthema schuf sogleich der Spielberichtsbogen Klarheit: Baumgart setzte Walters jüngsten Beschluss fort, den jungen Torwart Matheo Raab als neue Nummer eins vor dem in dieser Saison wackeligen Daniel Heuer Fernandes zu setzen – was, wie sich zeigte, eher kein Fehler war. Raab hielt eine Defensive zusammen, die sich in den vergangenen beiden Heimspielen sagenhafte acht Gegentreffer eingefangen hat – und obwohl der Hamburger Auftritt alles andere perfekt geriet, weil eine Schiebermütze am Spielfeldrand noch lange nicht alle Spielerköpfe von wochenlang aufgestauter Verunsicherung befreit: Baumgarts Stabilisierungsmaßnahmen griffen, größtenteils.
Königsdörffer ist genau der richtige Typ für Baumgarts Angriffsspiel
Der neue Trainer, das fiel sofort auf, hatte insbesondere die unter Walter wilden Abläufe im Spielaufbau konservativer angelegt. Die Verteidiger durften verteidigen, was den Offensivspielern das wohlige Gefühl verschaffte, dass da hinten jemand ist, der auch mal einen Fehler ausbügelt. Einer dieser Offensivspieler ist der talentierte Angreifer Königsdörffer, der zuletzt eher eine Dekoration im Hamburger Kader als eine echte Alternative war. Königsdörffer schuf Tiefe, mit seinem Tempo erwies er sich als genau der richtige Typ für Baumgarts vertikales Angriffsspiel, das die klug agierenden Elversberger mitunter gut in den Griff bekamen.
Nach einem Steckpass von Robert Glatzel war er zu Beginn der zweiten Hälfte mal wieder durchgestartet und traf mit Gewaltschuss zur Hamburger Führung, die zugleich der Endstand war – und für Baumgart der erste Schritt in einer Aufholjagd, die in den Aufstieg münden soll: Ausgerechnet der Stadtrivale und Tabellenführer FC St. Pauli hat dem HSV mit seinem 4:3-Sieg am Freitag gegen Holstein Kiel dabei geholfen. Der direkte Aufstiegsplatz zwei ist nur noch ein Pünktchen entfernt.