Für das, wovon zu erzählen ist, gibt es auf einem Spielberichtsbogen kaum Platz – zwei Menschen sind gestorben, der eine vor dem Spiel bei einem Verkehrsunfall, der zweite währenddessen, nachdem vergeblich versucht worden ist, ihn zu reanimieren. Dass diese beiden Todesfälle in den Fanlagern nicht nebensächlich sind, dass es sich dabei also nicht um «sonstige Vorkommnisse» handelt, ist im Stadion am Samstagabend beim 2:0-Heimsieg von RB Leipzig gegen Borussia Mönchengladbach sofort zu spüren. Eine drückende, teils bedrohliche Stille liegt über den Rängen, genährt auch von anfänglicher Unklarheit: Was, bitte, ist hier eigentlich los?
Der Gästeblock schweigt von Beginn an, hin und wieder trillern von dort aber Pfeifen und stören nicht nur das Spiel. Im Heimblock werden später Banner eingerollt, in der Halbzeit bestätigt Stadionsprecher Tim Thoelke in einer kurzen Ansprache, was bereits zu befürchten gewesen war – und geht ab. Nun sind wirklich alle allein mit ihrer Hilflosigkeit, und sie alle gehen damit anders um. Manche starren irritiert ins Leere, andere angeln mit der vorletzten Pommes genüsslich den letzten Rest Mayo aus der Schale. Biere werden geholt, heitere Gespräche fortgesetzt. Die Gleichzeitigkeit der Welt: In einem Moment wie diesem, in einem Stadion, wird sie begreiflicher, als einem lieb sein muss.
Von RB wird es im Nachgang heißen, dass sich «alle sehr vorbildlich verhalten haben: Fans, Aktive, Angestellte». So wenig man in einem solchen Moment Haltungsnoten vergeben sollte, so sehr lässt sich aber feststellen: Es gibt unter den Menschen im Stadion an diesem Abend offenbar ein Bedürfnis, einen Moment gemeinsamen Innehaltens zu erleben. Sie bekommen diesen Moment nicht in der Halbzeit, als nach der Ansprache Thoelkes die Soundanlage wieder hochfährt und etwas spielt, das klingt, als habe jemand bei Spotify eilig «sad music» eingegeben. Die Zuschauer schaffen diesen Moment stattdessen später selbst. «Die Nacht, die Lichter» heißt ein Erzählband des Leipziger Schriftstellers Clemens Meyer. Diese Nacht fällt am Samstag über Leipzig, die Lichter von Tausenden Handys glimmen wie Glühwürmchen. Endlich löst sich die kollektive Anspannung. Und, huch, Fußball gespielt wird ja auch und immer noch. Wie steht es nochmal?
Nach schlechtem Start ins neue Jahr stehen für Leipzig nun sieben Punkte aus den vergangenen drei Ligaspielen zu Buche
2:0 steht es, auch am Ende. Leipzig tritt engagiert und konzentriert auf, zu den Folgen zählt ein nach sehenswerter Vorbereitung technisch durch Xavi Simons eindrucksvoll abgeschlossener Angriff zum 1:0 (14.) und es zählt dazu auch der zunächst irrtümlich des Abseits verdächtigte Lupfer von Lois Openda (57.). Dieser erzielt damit auf Vorlage von Xaver Schlager sein bereits 16. Saisontor. Für Leipzig stehen nach einem wenigstens aus Ergebnissicht schlechten Start in das neue Jahr nun sieben Punkte aus den vergangenen drei Ligaspielen zu Buche – und sogar das 0:1 unter der Woche im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Real Madrid fällt, wenn man so will, in die Kategorie Aufwärtstrend.
Gladbachs Trainer Gerardo Seoane hingegen kann weiterhin keinen Rückrundensieg seiner Mannschaft verzeichnen. Er habe, sagt er nach dem Spiel, eine im Grundsatz zwar ordentliche spielerische Linie seiner Mannschaft gesehen – von den schweren Auswärtsspielen zuletzt gegen unter anderem die Bayern sowie in Leverkusen sei das in Leipzig sogar das vielleicht beste gewesen. Er jedenfalls sei deswegen «enttäuscht über das Resultat, nicht über die ganze Leistung», was als Urteil sicher eher am positiven Rand des zulässigen Meinungskorridors zum Auftritt Gladbachs zu verorten ist.
Nach diesem direkten Duell geht es für Leipzig und Gladbach mit denkbar unterschiedlichen Voraussetzungen und Routen weiter. Während RB mit Spielen in München und Madrid eher die Chance hat, eine mindestens ordentliche Saison nach oben auszubauen, stehen nicht allein für Gerardo Seoane kritische Wochen an. Nach nur einem Sieg aus neun Spielen ist Gladbach nur sechs Punkte vom Relegationsplatz entfernt. Für die kommenden Partien gegen Bochum, Mainz 05 und den 1. FC Köln gilt deshalb: Wer sich da keinen Platz im Oberhaus baut, für den wird es richtig schwer.