Deutsche Pharmakonzerne und ihre Produkte sind Donald Trump durchaus ein Begriff. Er schluckt Aspirin, das Schmerzmittel vom deutschen Konzern Bayer. Das hat er öffentlich geäußert. Auf die Industrie als Ganzes ist er trotzdem nicht gut zu sprechen. Genauso wie sein Vorgänger Joe Biden, einer der wenigen Punkte, in denen sich die beiden Männer einig sind. Schon vor seiner ersten Amtszeit wetterte Trump gegen die Medikamentenhersteller und deren Preispolitik. „Sie kommen mit allem davon“, sagte er damals. Biden forderte als Präsident in einem Beitrag für die Zeitung USA Today, die Pharmakonzerne sollten „aufhören, das US-Volk abzuzocken“.
Die USA sind für die Konzerne ein überaus attraktiver Markt. Nicht nur wegen der großen Zahl der Menschen, die regelmäßig Medikamente einnehmen, sondern auch wegen der Preise, die die Hersteller dort aufrufen können. Dreimal so viel wie im Durchschnitt anderer Industrieländer müssen Patienten in den USA für verschreibungspflichtige Medikamente bezahlen. Das hat eine Studie der gemeinnützigen Organisation Rand ergeben, für die die Bruttopreise der Hersteller in 33 OECD-Staaten analysiert wurden. Interessantes Detail: Während die Preise für Generika, also Nachahmerpräparate, die keinen Patentschutz mehr haben, in den USA um gut 30 Prozent niedriger waren als im Durchschnitt der anderen Länder, kosteten Orginalpräparate mehr als viermal so viel.
Biden hat in seiner Amtszeit erste Schritte unternommen, um die Kosten im Gesundheitswesen einzudämmen. Jahrelang konnte Medicare, die staatliche Krankenversicherung für Senioren und Menschen mit Behinderung, die Arzneimittelpreise nicht mit den Herstellern aushandeln. Das änderte sich mit dem von der Regierung Biden verabschiedeten Inflation Reduction Act (IRA). Für zehn Medikamente wurden bereits niedrigere Preise mit den Herstellern verhandelt, darunter Produkte von Bayer und Boehringer Ingelheim.
Und jetzt droht Trump mit Zöllen. Die könnten der deutschen Wirtschaft schwer schaden. Aber keine Branche würde es härter treffen als die Pharmaindustrie, denn sie ist besonders stark vom US-Markt abhängig. Etwa ein Viertel ihrer Exporte gehen in die USA, das 335-Millionen-Einwohner-Land ist der größte Abnehmer von Pharmaka aus Deutschland. Auf der anderen Seite sind die USA auch der größte Lieferant pharmazeutischer Produkte nach Deutschland.
In keiner Branche ist der Anteil der Wertschöpfung, der vom US-Geschäft abhängt, so hoch. Er liegt bei 14,4 Prozent. Das hat Andreas Baur, Handelsökonom beim Münchner Ifo-Institut, ausgerechnet. Zum Vergleich: Auf die gesamte deutsche Wirtschaft bezogen liegt dieser Wert bei 7,3 Prozent, im Maschinenbau bei 8,8 Prozent.
Die Pharmaindustrie ist wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Zum einen wegen der vielen Jobs, fast 133 000 Menschen arbeiten in der Branche. 2023, das sind die aktuellsten verfügbaren Jahreszahlen, stellte die Branche Waren im Wert von 37,6 Milliarden Euro her. Dabei ging der Export um gut sieben Prozent auf 113 Milliarden Euro zurück; beim Import gab es sogar ein Minus von knapp elf Prozent auf 73 Milliarden Euro. Die großen Differenzen ergeben sich auch deshalb, weil aus Deutschland Waren exportiert werden, die hier nicht hergestellt wurden, so der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI).
Auch ihre Struktur macht die Branche anfällig. Zwar dominieren Konzerne wie Bayer die Schlagzeilen, 70 Prozent der Pharmafirmen hierzulande sind aber kleine Firmen mit weniger als 50 Beschäftigten und weniger als zehn Millionen Euro Umsatz. Die meisten dieser Betriebe haben, anders als die Großunternehmen, nicht weltweit Standorte. Zölle würden sie besonders hart treffen.

Bisher sind Zölle kein großes Problem für die Pharmaindustrie. Im Durchschnitt liegen sie weltweit bei ein bis zwei Prozent, heißt es vom vfa, dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen, also sehr niedrig im Vergleich zu anderen Waren. Seit Mitte der 90er-Jahre sind Pharmazeutika weitgehend von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen befreit.
Beschlösse die Trump-Regierung nun hohe Zölle, wäre das für die deutsche Pharmaindustrie fatal. 60 Prozent Zölle hat Trump für chinesische Waren angedroht, Waren aus anderen Ländern will er mit bis zu 20 Prozent belegen. Ifo-Experte Baur und seine Kollegen haben ausgerechnet, was dann auf die Branche zukäme. Seine Prognose: Die Pharmaexporte in die USA würden um 35 Prozent zurückgehen. Zum Vergleich: Beim Export sämtlicher Waren in die USA wäre voraussichtlich ein Minus von 15 Prozent zu verzeichnen. „Ganz wird Deutschland den Einbruch im Handel mit den USA nicht durch höhere Exporte in andere Länder ausgleichen können“, so Baur.
Es ist schwer abzuschätzen, welche seiner Ankündigungen Trump tatsächlich wahr macht. So betont der Verband BPI einerseits, selbst der US-Präsident könne nur schwer Alleingänge seines Landes durchsetzen, weil die Pharmaindustrie weltweit so stark verwoben ist. Anderseits spricht der BPI auch von einem „Weckruf“. Trumps Drohung zeige, wie wichtig es für die europäische Pharmaindustrie sei, eine strategische Autonomie zu erlangen, „und zwar in alle Richtungen: mit Blick auf Absatzmärkte, Importquellen pharmazeutischer Erzeugnisse und Handelspartner“.
Die einzelnen Firmen halten sich bedeckt. Vom Schweizer Konzern Roche, der mehrere große Standorte in Deutschland unterhält, etwa in Mannheim und im oberbayerischen Penzberg, heißt es nur, man verfolge die Entwicklung in den USA „aufmerksam“. Zölle auf Medikamente und deren Inhaltsstoffe sieht der Konzern kritisch. Denn sie könnten die Fähigkeit der Pharmaindustrie, lebenswichtige Behandlungen bereitzustellen, „erheblich einschränken“. Und was, wenn ein Handelskonflikt eskaliert? „Aus den USA kommen einige der innovativsten Therapien, etwa für die Behandlung von Krebs. Ohne die USA stünden diese zum Teil lebenswichtigen Therapien nicht mehr zur Verfügung“, erläutert Claus Michelsen, Chefvolkswirt des Verbandes VFA.

Ungemach droht nicht nur wegen der Zölle. Da wäre zum Beispiel der Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation. Es war eines der ersten Dekrete, die Trump unterzeichnete. Die USA sind bisher der mit Abstand größte Beitragszahler in der WHO. Ob zum Beispiel ein Pandemieabkommen ohne die USA überhaupt noch zustande kommt, ist fraglich. Es soll dafür sorgen, dass die Welt auf die nächste Pandemie besser vorbereitet ist als auf die Corona-Pandemie. „Das ist ein Fingerzeig, wohin die USA steuern“, sagt VFA-Chefvolkswirt Michelsen: „Länder wie etwa China könnten versucht sein, in diese Lücke zu stoßen – mit allen Folgen für das geopolitische Gleichgewicht.“ Deutschland und Europa bräuchten endlich Antworten auf die sich verändernde Weltordnung.
Für Trump, so VFA-Experte Michelsen, seien Zölle für Trump nur Mittel zum Zweck im internationalen Wettbewerb. Er will die eigene Industrie schützen. Indem er einzelne Länder angreife, wolle er die EU spalten, die doch eigentlich für die Handelspolitik zuständig sei. Zölle könnten auch negative Folgen auf die USA haben. Die Verfügbarkeit von Medikamenten in den USA könnte sinken, oder sie könnten teurer werden, was dann eine inflationäre Wirkung hätte. Trumps Zölle könnten auch US-Unternehmen treffen, die im Ausland produzieren und ihre Waren in die USA exportieren. Zölle könnten Wertschöpfungsketten, Handels- und mittelfristig Kapitalströme verändern. Waren, die China bislang in die USA lieferte, könnten in andere Märkte exportiert werden. Es gibt viele Gründe gegen Zölle, sagt Michelsen. „Aber mit der verbreiteten Freihandelsrationalität kommt man bei Donald Trump nicht weiter.“