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Verteidigung: Boris Pistorius bekommt nicht, was die Bundeswehr braucht – Politik

by Marko Florentino
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Roderich Kiesewetter ist auf dem Weg zu einer Sitzung, als er am Saal des Verteidigungsausschusses vorbeihuscht und hört, dass drinnen Boris Pistorius den Abgeordneten Rede und Antwort steht. Er bleibt kurz stehen und sagt nur: „Der Alleingelassene.“ Dann preist der CDU-Politiker den SPD-Verteidigungsminister noch als „Quelle der Vernunft“ – auf die leider viel zu wenige hören würden.

Pistorius wird wenig später am Mittwoch hier vor der Tür des Ausschusses aus seinem Frust keinen Hehl machen, denn ein ganzes Jahr droht wegen der Bundestagswahl tatenlos zu verstreichen. Es ist wieder einiges passiert, was die Abgeordneten mächtig umtreibt. Die Geheimdienste haben deutlich wie noch nie gewarnt, dass Russland längst einen hybriden Krieg gegen Deutschland führe. BND-Chef Bruno Kahl spricht von „roten Linien“, die der Kreml austeste, auch mit der Gefahr, den Bündnisfall der Nato auszulösen. Es gibt eine starke Zunahme von Spionage, Cyberangriffen, auffälligen Schiffsbewegungen in der Ostsee, und Kampfjets steigen auf, um russische Maschinen abzufangen, die ohne Signal unterwegs sind.

Er wollte die Verteidigung aus der Schuldenbremse ausklammern

Die Nato leitet aus der Rückkehr des Kalten Krieges eine deutliche Aufrüstung ab. Im Rahmen ihrer alle vier Jahren erfolgenden Bedarfsanpassung ist durchgesickert, dass sie zur Abschreckung gegen Russland plant, die 82 Kampfbrigaden auf 131 aufzustocken. Jede Brigade hat rund 5000 Soldaten, für Deutschland könnte das fünf bis sechs zusätzliche Brigaden bedeuten. Der höchste deutsche Nato-General Christian Badia fordert daher, dass die deutschen Verteidigungsausgaben von zwei Prozent sofort Richtung drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen müssten – das wären rund 40 Milliarden Euro mehr pro Jahr.

Pistorius kann drinnen kaum Antworten liefern, was denn die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) daraus ableitet. Ja, die Nato-Anforderungen an Deutschland würden im Zuge der neuen „Minimum Capability Requirements“ (MCR) steigen. Ja, seine Wünsche würden derzeit nicht erfüllt. Um mehr Personal zu gewinnen und die Reserve zu vergrößern, kommt ein neues freiwilliges Wehrdienstmodell – aber zumindest mit verpflichtenden Musterungsfragebögen für alle 18-jährigen Männer. Sein Plan hierzu sei mittlerweile in der Ressortabstimmung der Bundesregierung. Aber auch hier musste er Abstriche machen.

Der Minister sieht nach dem Auftritt etwas mitgenommen aus, entschuldigt sich für seine Stimme. „Ein bisschen wie Joe Cocker“, er sei ziemlich erkältet. Pistorius wollte die Verteidigungs- und Rüstungsausgaben von der Schuldenbremse ausklammern, das scheiterte ebenso wie eine deutliche Erhöhung seines Etats. Aber mit 53,2 Milliarden Euro plus 22 Milliarden über das Bundeswehr-Sondervermögen soll auch im kommenden Jahr das Zwei-Prozent-Ziel der Nato geschafft werden. Pistorius wird gefragt, ob alle den Ernst der Lage begriffen hätten, in Politik, Gesellschaft, in der SPD? „Ich habe daran keinen Zweifel“, sagt er, „aber die Frage ist immer, was macht man mit dieser Erkenntnis?“ Leider sei er nicht „Alice im Wunderland“, könne sich keine neue Realität erschaffen. Das Problem müsse die nächste Bundesregierung lösen.

Der CSU-Fachmann redet von Offenbarungseid, die Grüne warnt vorm „Schlafmodus“

Pistorius macht sich von dannen, und an das Mikrofon vor dem Ausschusssaal tritt einer, der schon als möglicher Nachfolger bei einem Regierungswechsel gehandelt wird, der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn. „Die Zeitenwende ist gescheitert“, poltert Hahn los. Die Haushaltspläne und das „Nichtanpacken“ der neuen Herausforderungen, das sei „ein echter Offenbarungseid“. Nun werden zwar rund 30 Milliarden Euro mehr ausgegeben als zuletzt unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), aber Hahn hält ungefähr noch einmal so viel für geboten.

Wie er das finanzieren will? Durch Umschichtungen im Haushalt. Und um das Personalproblem zu lösen, will er alsbald die Wehrpflicht wieder einsetzen: Das gehe jederzeit mit einfacher Mehrheit im Bundestag, sagt Hahn.

Die Grünen-Politikerin Sara Nanni steht am Rande und hört sich das an, sie hat den nachdenklichsten Auftritt des Tages. „Ich glaube, wir brauchen die gesamtgesellschaftliche Debatte darüber“, sagt die sicherheitspolitische Sprecherin der Partei. „Wir haben einen Sommer der Sabotage erlebt. Russland ist eine große Bedrohung für die Bundesrepublik.“ Das sei auch in der Anhörung der Geheimdienste sehr deutlich geworden. „Wenn jetzt nicht die Zeit ist, dass wir Demokraten zusammenstehen und uns überlegen, wie wir das Problem lösen können, wann dann?“

Dann ist auch sie alsbald beim Thema Wunder: Jetzt auf ein solches zu warten und zu hoffen, dass das schon irgendwie in der nächsten Legislaturperiode gelöst wird, sei kein guter Plan: „Wir sind schon mal in den Schlafmodus gefallen nach 2014“, nach Russlands Annektierung der ukrainischen Krimhalbinsel. Und dann seien plötzlich alle geschockt gewesen: „Oh, Putin greift noch mal an.“ Jeder solle in sich gehen, sagt Nanni, und darauf achten, dass man den Leuten keinen Quatsch erzähle über die Herausforderungen. „Wir sprechen über Summen, die haben wir lange nicht gesehen. Da war das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr nur ein Anfang.“

Ganz anders sieht das der Linken-Politiker Dietmar Bartsch. Er setzt einen Kontrapunkt. Es sei doch nicht vermittelbar, wenn es hier bei Verteidigung immer nur um Steigerungen gehe, und in anderen Bereichen gebe es „gewaltige Kürzungen“. Vielleicht sei der Weg von immer mehr Waffen für die Ukraine auch nicht zielführend. Er habe jedenfalls bisher kein gutes Ergebnis erbracht. Vielleicht müsse man einfach mal umdenken. Er ist im Prinzip wie Nanni für eine große gesellschaftliche Debatte, aber eben mit anderem Fokus: „Ich bin mir sicher: Höher, schneller, weiter, kann nicht das Prinzip für den Verteidigungsetat sein“, sagt Bartsch.



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