Über der Ostsee ist es zu einem Zwischenfall zwischen einem russischen Schiff und einem deutschen Marine-Hubschrauber gekommen. Das sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Rande eines Nato-Außenministertreffens am Mittwoch in Brüssel. Die Ministerin sprach vor der Sitzung davon, dass Russland seine hybride Kriegsführung in der Region verstärke. So würden dort Unterseekabel beschädigt, GPS-Signale gestört, zudem gebe es Öltanker, die an der illegalen Umgehung von Sanktionen beteiligt seien. In diesem Zusammenhang erwähnte Baerbock Vorfälle mit „Hubschraubern, die auch aus Deutschland kommen“ und die dann „plötzlich von diesen Tankern aus beschossen werden“.
Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung aus Regierungskreisen hatte sich bei dem Zwischenfall, der mehr als eine Woche zurückliegt, ein Hubschrauber der deutschen Marine einem russischen Öltanker genähert, der von einem russischen Kriegsschiff begleitet wurde. Der Hubschrauber war in einer Aufklärungsmission unterwegs und dem Vernehmen nach von einer Fregatte der Marine aus gestartet, der Nordrhein-Westfalen. Entgegen dem üblichen Verfahren meldete sich die Besatzung des russischen Schiffes nicht per Funk, sondern verschoss rote Leuchtmunition, als der Hubschrauber näher kam. Eine Gefährdung des Hubschraubers sei davon aber nicht ausgegangen, hieß es weiter.
Der Tanker könnte einer Schattenflotte angehören, mit der Russland Sanktionen umgeht
Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums wollte einen direkten Beschuss des Hubschraubers am Mittwoch in Berlin nicht bestätigen. Er sagte allerdings, es komme immer wieder vor, dass es Regelverstöße auf See oder im Luftraum gebe. Es komme dann darauf an, dass die Soldaten der Marine und der Luftwaffe besonnen und deeskalierend reagieren. Man könne darauf vertrauen, dass sie sehr professionell reagierten. Aus Nato-Kreisen hieß es: „Russland hält sich in der Ostsee selten an die Regeln.“ Regelmäßig kommt es zu gefährlichen Überflügen russischer Kampfjets über Schiffe und Begegnungen mit westlichen Flugzeugen.
Nach SZ-Informationen hatte Baerbock den Zwischenfall auch bei einem Treffen mit ihren Kolleginnen und Kollegen der sogenannten NB8+2-Gruppe aus den nordischen und baltischen Staaten erwähnt, zu dem auch Polen und Deutschland als Ostseeanrainer eingeladen waren. Als Konsequenz aus der in ihrer Intensität zunehmenden hybriden Kriegsführung des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Ostseeraum soll es laut Baerbock mehr Patrouillen geben, etwa um Pipelines und Datenkabel engmaschiger zu überwachen.
Nach Angaben aus deutschen Sicherheitskreisen könnte der Tanker zu einer sogenannten Schattenflotte aus mehreren Hundert Schiffen gehören, mit der Russland westliche Sanktionen zu umgehen versucht. Die EU und die G 7 haben nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Importstopp und eine Preisobergrenze für russisches Öl verhängt, um Moskaus Kriegswirtschaft zu schwächen. Russland exportiert sein Öl trotzdem – mithilfe teils ausgemusterter und maroder Tanker, die unter fremder Flagge fahren.
Marine und Luftwaffe sind schon länger in erhöhter Alarmbereitschaft
Eine der klandestinen Exportrouten führt durch die Ostsee. Häufig werden die russischen Tanker auf ihrem Weg Richtung Nordsee und Atlantik von Kriegsschiffen eskortiert. Westliche Sicherheitsbeamte und Militärs berichten, dass die kleinen Konvois dabei regelmäßig ihre Ortungssysteme ausschalten. Dadurch steigt die Gefahr von Kollisionen in der viel befahrenen Ostsee – aber auch das Risiko von Konfrontationen mit den Marinen der Ostseeanrainerstaaten. Warum und wo genau sich in diesem Fall die deutsche Fregatte dem russischen Schiffsverband genähert hat, ist bisher nicht bekannt.
Die deutsche Marine sowie die Luftwaffe sind seit Monaten in erhöhter Alarmbereitschaft, was russische Schiffs- und auch Flugbewegungen in und über der Ostsee betrifft, auch in deutschem Hoheitsgebiet. Dabei geht es nicht nur darum, Sanktionen zu umgehen. Deutsche Nachrichtendienste und die Bundeswehr gehen davon aus, dass Russland auf diese Weise auch kritische Infrastruktur ausspioniert – Pipelines, Unterseekabel und Offshore-Windparks zum Beispiel. Die Bundesregierung wie auch die Nato sehen eine wachsende Bereitschaft Russlands, Sabotage-Aktionen zu unternehmen und Infrastruktur zu beschädigen.
Ein hochrangiger deutscher Sicherheitsbeamter sagte vor einigen Monaten: „Die Russen testen gezielt, wie wir reagieren.“ Etwa, wie lang deutsche Fregatten brauchen, bis sie ein fremdes Schiff erreicht haben, oder wann Jets der Luftwaffe ankommen, wenn sie ein fremdes Flugzeug entdeckt haben. „Und sie testen, wie weit sie gehen können, wo unsere roten Linien liegen.“ Unter anderem wegen der angespannten Sicherheitslage auf See plant das Bundesinnenministerium einen neuen Standort für die Eliteeinheit GSG 9 an der Ostseeküste in Schleswig-Holstein, wie erst im November bekannt geworden ist.