Zeitlebens bestritt Wilhelm Reissmüller seine NS-Nähe, klagte bis ans Bundesverfassungsgericht. Nun kommt die Wahrheit über den einflussreichen Verleger aus Ingolstadt ans Licht – ein Lehrstück mangelnder Aufarbeitung.
Der Einband ist abgegriffen, vergilbt und geklebt. Die Akte enthält 30 Blätter. Urkunden, Briefe und Lebensläufe. Äußerlich mag sich die Promotionsakte von Wilhelm Reissmüller, datiert auf den 23. Juni 1936, kaum von anderen unterscheiden. Aber Susanne Wanninger, die das Archiv der Universität München leitet, sagt: „Es ist definitiv keine Standardakte.“ Jahrzehntelang war sie vergessen; nach dem Tod von Reissmüller 1993 für zehn Jahre gesperrt. Auch danach hat niemand nach ihr gefragt. Und so steht die Akte Reissmüller stellvertretend für die teils noch immer vorherrschende Scheu, die Vergangenheit aufzuklären – auf die Gefahr hin, dass örtliche Honoratioren und der Umgang mit ihnen dann neu bewertet werden müssten.