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In einem der Häuser ist Herbert Kickl aufgewachsen. Der Mann, der gute Aussichten hat, bald Österreichs erster FPÖ-Bundeskanzler zu werden. Ein Kärntner. Sohn jenes Bundeslandes, das seinerzeit Jörg Haider zum Labor des europäischen Rechtspopulismus machte, das er bis zu seinem Tod 2008 elf Jahre lang als Landeshauptmann regierte, mit einem gewissen Herbert Kickl als Redenschreiber – und in dem jener Rechtspopulismus bis heute seine tiefen Spuren hinterlassen hat.
Warum wieder Kärnten? Und was kann der Rest Österreichs, was kann der Rest Europas von den Erfahrungen hier lernen?
Für die Grünen ist die Region traditionell schwieriges Terrain
Ein paar Schornsteine dampfen, die demnächst untergehende Sonne gleißt, ansonsten liegt Stille über der Erdmannsiedlung. Eine junge Frau mit Kinderwagen spaziert aus einer Seitenstraße, sie selbst habe politisch eher ziemlich wenig mit Kickl und der FPÖ zu tun, sagt sie; große Sorgen aber mache ihr die Aussicht, dass der drahtige Mann mit Brille, der hier aufwuchs, bald den Regierungschef stellen könnte, wiederum auch nicht. „Der schreit halt laut“, sagt sie, „aber was er nachher von all dem wirklich umsetzt, ist eine ganz andere Frage.“
Schaut man auf eine Österreichkarte, in der die lokalen Ergebnisse der Nationalratswahl im September verzeichnet sind, dann ist vor allem der Süden des Landes tiefblau. Kärnten ist FPÖ-Hochburg, mal wieder. Woher kommt dieser besonders breite Zuspruch für rechte, für völkische, für deutschnationale Ideen? Um das zu begreifen, lohnt sich eine Fahrt ganz nach Süden, kurz vor die slowenische Grenze, wo der Fluss Drau vor der dramatischen Kulisse der Karawanken mäandert, wo die Ortstafeln zweisprachig sind, Deutsch und Slowenisch. Zum Beispiel: Ludmannsdorf – Bilčovs.

Ein kleiner Biobauernhof, zwei aufgeregte Hunde am Eingang, Olga Voglauer bittet an ihren Küchentisch. Die 44-Jährige ist Generalsekretärin der österreichischen Grünen, die bislang zusammen mit der konservativen ÖVP die Bundesregierung gestellt haben, jetzt sind sie bei der Nationalratswahl um fast sechs Punkte auf 8,2 Prozent abgerutscht. Olga Voglauer ist Niederlagen in schwierigem Umfeld gewohnt, bei der Kärntner Landtagswahl 2023 holten die Grünen mit ihr als Spitzenkandidatin ganze 3,9 Prozent.
Ja, Kärnten sei tatsächlich ein bisschen speziell im österreichweiten Vergleich, sagt sie. Gerade während der Corona-Pandemie habe sich hier gezeigt, dass sich Teile der Bevölkerung „immer stärker in eigene Informationsrealitäten zurückziehen“, mehr als anderswo. Und diesen Monat nun hat eine Mehrheit der Kärntner bei einer Volksbefragung für ein Verbot neuer Windräder gestimmt, „zum Schutz der Kärntner Natur (einschließlich des Landschaftsbildes)“, wie es in der von der FPÖ eingebrachten Initiative heißt.
Auch da sei mit allerlei Mythen gearbeitet worden, sagt Olga Voglauer. Aber vielleicht sei der Hang zu Mythen in Kärnten generell etwas größer als anderswo, vermutet die Politikerin, die selbst der slowenischen Volksgruppe in Österreich angehört: Insbesondere in der Nazi-Zeit sei gezielt mit allerlei verschwurbelt-verleumderischen Erzählungen gearbeitet worden, „über die Slowenen und darüber, welche Gefahr von den Slowenen ausgehe“. Sie selbst habe die Langzeitfolgen davon immer wieder gespürt, etwa wenn sie auf dem Weg zur Schule mit ihren Freuden Slowenisch sprach und jemand im Bus zischte: Schleichts eich übern Loibl! Vor allem in der ersten Amtszeit von Jörg Haider als Landeshauptmann, zwischen 1989 und 1991, hätten die Ressentiments spürbar zugenommen.
Es war nicht die FPÖ allein, die den Druck auf die slowenischsprachige Bevölkerung erhöhte
Ein paar Kilometer weiter, ein Ort namens Tscharoritsch, oder auch: Čahorče. Vinko Wieser, 73 Jahre alt, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Situation der slowenischen Kärntner, er ist selber einer von ihnen und leitet den Slowenischen Kulturverein Gorjanci. Nach jahrelanger Forschungsarbeit hat er gerade ein Buch herausgegeben, das der Geschichte dieser zweisprachigen Region entlang der Entwicklung der Ortsnamen nachspürt. Noch vor 150 Jahren habe hier 95 Prozent der Bevölkerung Slowenisch gesprochen, erklärt er: „Die Feudalherrschaft war Deutsch, und die Masse der Untertanen in der Landwirtschaft hat den slowenischen Dialekt gesprochen.“ Nachdem die Nazis in Österreich die Macht übernommen hatten, betrieben sie die „Aussiedelung“ von Menschen, die sich als slowenisch identifizierten. „Konkret: Deportierten-Listen wurden erstellt und die aktivsten slowenischen Kulturarbeiter und die unbeugsamsten Menschen in sogenannte Aussiedlungslager oder ins KZ gebracht.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die Alliierten im südlichen Kärnten ein zweisprachiges Schulsystem durch: Jedes Kind musste beide Sprachen lernen. „Das war die Grundlage für die gegenseitige Verständigung“, sagt er. „Wurde allerdings 1958 wieder abgeschafft, auch mit Hilfe der in die Volksparteien ÖVP und SPÖ integrierten alten Nazis.“ Es war also nicht die FPÖ allein, die den Druck auf die slowenischsprachige Bevölkerung wieder erhöhte.
1972 stürmten Mobs die soeben von der Regierung aufgestellten zweisprachigen Ortstafeln, beschmierten sie und rissen sie heraus. Zuvor hatte bei einer Versammlung des „Kärntner Abwehrkämpferbundes“ jemand gerufen: „Versuchen wir es noch einmal mit einer Unterschriftenaktion, und wenn das auch nichts hilft, dann: Volk steh auf – Sturm brich los.“
Der Psychoanalytiker Erwin Ringel schrieb Ende der 1980er-Jahre über die Besonderheiten der „Kärntner Seele“: Anders als in anderen Teilen Österreichs habe man hier den Nationalsozialismus nicht ins Unterbewusste verdrängt, sondern bekenne sich „forsch, frei und fröhlich“ dazu. Verdrängt würden stattdessen beispielsweise die eigenen slowenischen Wurzeln.
Für Vinko Wieser war der Moment, als Jörg Haider 1989 als Landeshauptmann die Macht in Kärnten übernahm, denn auch weniger ein Schock als vielmehr der nächste, geradezu konsequente Schritt in einer jahrzehntelangen Entwicklung. Was erwartet er jetzt, wenn sogar auf Bundesebene die FPÖ die Regierung anführen sollte? Was bedeutet das für die Situation der slowenischen Bevölkerung, für seine eigenen Bemühungen, ihr mehr Gehör zu verschaffen? Vinko Wieser zuckt diskret mit den Schultern, dann sagt er nüchtern: „Es wird schwieriger werden, wir werden mehr Widerstand haben. Eine automatische Verbesserung der Situation, von der wir geträumt haben, wird leider nicht kommen.“
Hat die Figur des Jörg Haider inzwischen doch etwas an Strahlkraft verloren?
Weiter Richtung Klagenfurt/Celovec, die Landeshauptstadt. Kurzer Halt in Lambichl, ein paar rote Grabkerzen am Straßenrand, dahinter ein Foto von Jörg Haider und die Inschrift: „Auf ewig in unseren Herzen – Danke Jörg“. Es ist die Stelle, an der sich der damalige Landeshauptmann mit 1,8 Promille Alkohol im Blut und 142 Stundenkilometern mit seinem Auto überschlug und kurz darauf starb. „Die Sonne ist in Kärnten vom Himmel gefallen“, verkündete sein Stellvertreter. Es sind jetzt nur noch wenige Grablichter, niemand hat einen frischen Kranz oder Blumen abgelegt, kein Auto hält an, man könnte den Eindruck bekommen, jene Sonne habe doch arg an Strahlkraft verloren.
Klagenfurt-Zentrum, Arnulfplatz, die Sozialdemokratin Gaby Schaunig empfängt in ihrem Amtszimmer. Sie ist die Landeshauptmann-Stellvertreterin, was in Deutschland einer stellvertretenden Ministerpräsidentin entspricht. Seit 2013 hat Kärnten eine SPÖ-geführte Landesregierung, seit zwölf Jahren also ist die FPÖ nun in der Opposition.

Was sind die Rezepte für den Erfolg der Sozialdemokraten im Post-Haider-Land? Ein Stichwort, das man immer wieder hört, lautet: Nüchternheit. Landeshauptmann Peter Kaiser etwa ist bekannt dafür, dass er mitunter mit geradezu penetranter Sachlichkeit auftritt und spricht. „Ich glaube“, sagt Gaby Schaunig, „wir haben jetzt zwölf Jahre lang gezeigt, dass wir mit sehr ruhiger Politik unaufgeregt versuchen, die finanzielle Schieflage zu bereinigen.“ Haider hatte das Land an den Rand der Pleite getrieben, etwa indem seine Regierung für die durch zahlreiche Skandale verschuldete Landesbank Hypo Alpe Adria Haftungen in Höhe von 24 Milliarden Euro übernahm. „Inzwischen haben wir uns von fast allen Haftungen befreit“, sagt Gaby Schaunig. Zugleich investiere man in Bildung, in eine ausgewogene Sozialpolitik, in den Forschungsstandort, könne mit die höchste Zahl der Firmenansiedlungen österreichweit vorweisen.
Im Burgenland hat die SPÖ ihre Position als stärkste Partei gerade verteidigt
Wie geht das, ohne neue Schuldenberge anzuhäufen? „Es ist keine Ausgabe zu klein und keine zu groß, um nicht überprüft zu werden“, sagt Schaunig und zählt auf: mehr Digitalisierung und weniger Personal in der Verwaltung, Evaluierung von Fördermaßnahmen, Sanierung bestehender Gebäude statt Neubauten. Eine Politik der kleinen, vielleicht unspektakulären Schritte, ein scharfer Kontrast zu den schrill-glamourösen, verschwenderischen, skandalerschütterten Haider-Jahren; einer Erfahrung, die vielen Menschen dann doch noch in den Knochen steckt.
Wie lange hält dieses Erfolgsrezept noch? Auf Landesebene wird in Kärnten das nächste Mal 2028 gewählt. Immerhin, im Burgenland hat vergangenen Sonntag die SPÖ ihre Position als stärkste Partei verteidigen können; die FPÖ ist trotz enormer Zuwächse dritte geblieben. Es ist also nicht gesagt, dass sich ein Rechtsschwenk in der Bundespolitik auch auf Landesebene niederschlagen muss.
Andererseits: Hat die FPÖ nicht mit ihrem Sieg in der Anti-Windkraft-Volksbefragung gerade bewiesen, dass sie in Kärnten große Wählerpotenziale mobilisieren kann? Auch da, sagt Gaby Schaunig, gelte es mit Nüchternheit gegenzuhalten: Es gebe nun einmal oft „unterschiedliche legitime Interessen, die zu berücksichtigen sind und die man manchmal nicht in einem populistischen Satz zusammenfassen kann. Sondern wo beide Seiten ihre Berechtigung haben“. So sei auch der Konflikt Energiegewinnung gegen Landschaftsschutz einer, der „ausgewogen und sachlich diskutiert gehört“, der Debatte will sie sich stellen.
Dem politischen Gegner zuhören, sachlich bleiben, „den Boden eines wertschätzenden Umgangs nicht verlassen“: Das, hofft sie, werde ein probates Rezept gegen Populismus bleiben. Auch in Kärnten, dem Mutterland dieses Populismus.