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Maia Sandu hatte, als Ministerpräsidentin seit 2019 und als Präsidentin der Republik Moldau seit 2020, vor allem ein Ziel: Europa. Und sie hat es mit Macht vorangetrieben – wobei der russische Überfall auf die Ukraine den Bemühungen der 54-Jährigen das entscheidende Momentum verschaffte: Nur einen Monat nach der Invasion stellte Moldau einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft, zwei Monate später wurde Chișinău der Bewerberstatus zuerkannt. Anderthalb Jahre später, im Dezember 2023, stimmte die EU für die Aufnahme von Gesprächen.
Moldau liegt an der ukrainischen Westgrenze und ist, in Moskaus Augen, eine weitere, abtrünnige Sowjetrepublik. Die existenzielle Bedrohung durch Russland erstreckt sich auf beide Staaten, auch wenn der Krieg Moldau noch nicht erreicht hat.
Moldau ist noch nie eine stabile Demokratie gewesen
Nun beginnen in Luxemburg die Beitrittsgespräche. Und doch ist es gut möglich, dass alle Bemühungen umsonst waren. Nicht nur, weil der EU-Beitritt des kleinen Landes mit seinen gerade mal zweieinhalb Millionen Einwohnern und seiner in die Hunderttausende gehenden Diaspora von der Entwicklung in der Ukraine abhängt. Und weil der Zeitpunkt eines Beitritts in den Sternen steht. Sondern auch und vor allem, weil der Westkurs Moldaus, der spätestens 2016 mit einem „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen” begonnen hat, von inneren und äußeren Kräften massiv unterwandert und bekämpft wird.
Präsidentin Sandu sagte zwar triumphierend, die „Zukunft Moldaus“ liege in der „europäischen Familie“. Aber sie sagte auch: Nun müsse das Land von einem „schwachen Staat in einen starken, modernen, abwehrbereiten Staat umgebaut werden“, der sich auch wirklich um seine Bürger kümmern, sie schützen und versorgen könne.
Bis dahin ist es ein weiter Weg. Moldau war nie eine stabile Demokratie; Parteien sind wie auch in anderen postsowjetischen Ländern eher Mittel zur Durchsetzung der Interessen einzelner Oligarchen. Wählerstimmen werden regelmäßig gekauft, Demonstranten bekommen ein Handgeld, Korruption gehört zum Alltag.
In Transnistrien sind etwa tausend russische Soldaten stationiert
Zudem ist das Land – anders als die Ukraine, von der Moskau das so gern behauptete – , tatsächlich in mehrfacher Hinsicht gespalten. Einer großen, rumänisch-sprachigen Bevölkerungsgruppe, die in ihrer Mehrheit auch die EU-Integration befürwortet, stehen ethnische Minderheiten der türkisch-stämmigen Gagausen und der Bulgaren sowie viele loyale Kreml-Anhänger gegenüber, die allesamt nur Russisch sprechen und seit der Unabhängigkeit Moldaus 1991 nie wirklich integriert wurden – oder integriert werden wollten.
Die Separatistenregion Transnistrien, jenseits des Flusses Dnjestr direkt an der ukrainischen Westgrenze gelegen, ist mit ihrer etwa 1000 Mann starken Truppe russischer Soldaten und einer an Moskau ausgerichteten Regierung ein zusätzlicher Destabilisierungsfaktor.
In den Monaten nach den Feierlichkeiten zur Aufnahme der Beitrittsgespräche, den ersten Arbeitsgruppen und den vielen, schönen Worten stehen nun erst einmal drei Abstimmungen bevor. Diese dürften, auf absehbare Zeit, viel eher über das Schicksal Moldaus entscheiden, als es die vielen Hausaufgaben der EU und die anstehenden Reformprojekte mittelfristig können.
Moskau wird die Wahl und ein Referendum im Herbst beeinflussen wollen
Im Oktober nämlich will Präsidentin Sandu wiedergewählt werden. Sie liegt in Umfragen vor ihren russlandfreundlichen Herausforderern, aber Moskau wird auf den Wahlkampf massiven Einfluss nehmen. Zeitgleich ist für den 20. Oktober ein Referendum über den EU-Beitritt geplant; auch hier wird Moskau viel Geld und viel Desinformation einsetzen, um das Ergebnis in seinem Sinne zu beeinflussen.
Und im kommenden Frühjahr stehen Parlamentswahlen an, bei denen mehrere Pseudoparteien, die wiederum von russlandfreundlichen Oligarchen mit russischer Unterstützung finanziert und organisiert werden, gegen die PAS-Partei (Aktion und Solidarität) von Sandu antreten. Bisherige Versuche, diese aus dem Ausland gesteuerten Gruppierungen, denen bei den jüngsten Kommunalwahlen Wählerkauf nachgewiesen werden konnte, zu verbieten oder ihre Mandate durch die Wahlkommission nachträglich für ungültig erklären zu lassen, sind an einer teils parteiischen, teils korrupten Justiz, aber auch an verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert.
Ion Tăbîrță, Politikanalyst und Geschäftsführer des Nato-Informations- und Dokumentationszentrums in Chișinău, sieht im EU-Beitritt Moldaus einerseits eine Chance, aus der „Grauzone“ zwischen West und Ost herauszutreten. Das größte Problem, welches das Land derzeit habe, sei der Angriff des Kreml auf die nationale Sicherheit. Chișinău müsse daher den anstehenden Reformprozess auch nutzen, um den Einfluss Moskaus auf politische Entscheidungen zu vermindern, sagte Tăbîrță in einem Interview mit der Außenpolitischen Vereinigung Moldaus.
Ein prorussischer Oligarch will die EU-Entscheidung rückgängig machen
Das ist leichter gesagt als getan. Vor wenigen Wochen fand in Moskau ein Kongress von oppositionellen, moldauischen Gruppierungen in Moskau statt. Dort hält sich auch der in Moldau zu 15 Jahren Haft verurteilte, flüchtige Oligarch Ilan Shor auf. Er soll sowohl einen israelischen als auch einen russischen Pass haben und steht auf einer Sanktionsliste der USA. Das Bündnis „Sieg“ rund um Shor, zu dem sich auch Politiker aus der autonomen, prorussischen Region Gagausien im Süden Moldaus gesellten, will die EU-Entscheidung der Regierung in Chișinău rückgängig machen.
Bei der Rückreise aus Moskau fand der moldauische Zoll bei einigen Delegierten mehr als eine Million Euro, die mutmaßlich zur Finanzierung des Anti-Sandu-Wahlkampfes dienen sollten. Der moldauische Geheimdienstchef Alexandru Musteata nennt Shors Partei das zentrale Instrument Moskaus, um Hass zu säen und eine politische Krise hervorzurufen.
Ein Fake-Video zeigt Maia Sandu im Hijab
Desinformationskampagnen sind neben Bombendrohungen und Cyberattacken die stärkste Waffe Russlands im hybriden Krieg gegen den Westkurs. Die moldauische Zeitung Ziarul Garda etwa identifizierte bereits 2022 ein ganzes Paket von falschen Profilen, erfundenen Namen und gefälschten Webseiten aus Argentinien, Indonesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, für die der damals in Israel lebende Shor pro Monat Zehntausende Euro ausgab, während seine Helfershelfer in Moldau bezahlte Demonstrationen organisierten.
Die britische NGO Reset stellte ein Jahr später fest, Facebook habe Hunderttausende Euro durch die Shor-Kampagnen verdient, die von Millionen Menschen gesehen wurden. Und trotz der Zusage des Internetkonzerns, Shor kein Forum mehr zu geben, sei die Desinformation auch 2023 und 2024 weiter verbreitet worden. Ein Deep-Fake-Video, das besonders oft geklickt wurde, zeigt Präsidentin Maia Sandu, in einen Hijab gekleidet, die ihren Rücktritt ankündigte. Ein anderes zeigt sie, wie sie einen populären Hagebuttentee verbietet und sich über die Lebensbedingungen der Armen in Moldau lustig macht. Das Durchschnittseinkommen in Moldau liegt bei weniger als 800 Euro.
Die große Hoffnung in Chișinău ist daher, dass die Aussicht auf einen EU-Beitritt und eventuell sogar einen Nato-Beitritt Zuversicht verbreiten, Investoren anlocken – und Unterstützung im Kampf gegen den russischen Einfluss bringen wird.