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Opposition in Russland: Zarter Protest – Politik

by Marko Florentino
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Alexej Nawalny hätte sicher gefallen, wie viel Stress er dem Kreml auch aus dem Grab heraus noch macht. Der Blumenberg für ihn auf dem Borissowskoje-Friedhof wird täglich höher. Und seinen allerletzten Protestaufruf scheinen die russischen Behörden als größte Bedrohung an diesem Wahlwochenende zu betrachten. Nichts darf schiefgehen, wenn sich Wladimir Putin im Amt bestätigen lassen will. Nur eine hohe Beteiligung und ein noch höherer Sieg haben den gewünschten Effekt: zu zeigen, dass das ganze Land hinter dem Kremlchef steht.

Kurz vor seinem Tod veröffentlichte Nawalny eine Idee, diesen Plan zu stören: Alle sollten einfach gleichzeitig zu den Wahllokalen kommen, und zwar genau um zwölf Uhr am Sonntagmittag. Menschenschlangen um diese Zeit würden zeigen, wie viele Russen lieber auf den toten Kremlgegner hören als auf Putin – und das trotz aller Risiken. Ein großer Andrang bei der Aktion «Mittags gegen Putin» ist zwar schon deswegen unwahrscheinlich, weil es so viele Wahlbüros gibt und die Menschen erst einmal den Mut dafür aufbringen müssten. Die Moskauer Staatsanwaltschaft hat trotzdem gleich mit Strafverfahren wegen Behinderung der Wahl gedroht, darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft. Es ist gefährlich geworden, Sonntagmittag wählen zu gehen.

Diese Abstimmung ist so intransparent wie keine zuvor

Überhaupt haben diejenigen, die in Russland gegen Putin sind, kaum noch Möglichkeiten, dies risikolos zu zeigen. Vier Kandidaten stehen auf dem Zettel, Wladimir Putin und drei Strohmänner aus kremltreuen Staatsduma-Parteien. Seit Freitagmorgen wird abgestimmt und im Internet gibt es die ersten Fotos von ungültigen Wahlzetteln. Manche haben einfach quer «Nawalny» darüber geschrieben, andere «Kein Putin. Kein Krieg». Wieder andere haben einfach alle Kästchen angekreuzt, damit wird der Stimmzettel auch ungültig. Die Leute veröffentlichen Fotos davon online, damit ihr Protest überhaupt ankommt. Denn diese Abstimmung ist so intransparent wie keine zuvor. Viele Wähler stimmen elektronisch ab. Und auch in den Wahlbüros gibt es keine unabhängigen Beobachter mehr, weil nur die Kandidaten selbst ihnen Zugang verschaffen könnten. Und die folgen dem Kreml.

Eine echte Opposition gibt es in Russland längst nicht mehr. Die deutlichste Kritik am Kreml kommt derzeit entweder von inhaftierten Politikern, oder von Angehörigen mobilisierter Soldaten. Die Gruppe «Putj domoj» hat in ihrem Telegram-Kanal mit 70 000 Lesern dazu aufgerufen, nicht nur zur Wahl zu gehen, sondern «unsere Stimme auf eine radikalere Art und Weise lauter zu machen: die Stimmzettel zu verderben». Bisher hatte sich die Gruppe mit politischen Äußerungen zurückgehalten, allein die Rückkehr der mobilisierten Männer gefordert. Es gäbe nun aber keinen Kandidaten, der sich um Demobilisierung kümmern wolle, schreibt die Gruppe auf Telegram, man brauche «ein klares Signal unseres Protests».

«Sonntagmittag» ist zu einem Codewort geworden

Nicht nur Stimmzettel kann man bekritzeln, manche haben das auch mit den Wahlplakaten getan. Die sind seltsam nichtssagend: Auf weißem Grund steht da schlicht «Präsidentschaftswahl 2024» und daneben ein V für «Victory». Auf anderen steht «Zusammen sind wir eine Kraft – stimmen wir für Russland». Die oppositionelle Jugendorganisation Wesna hat Fotos von veränderten Plakaten im Netz veröffentlicht: «Zusammen sind wir eine Kraft – stimmen wir nicht für Putin». Auf anderen wurde einfach ergänzt: 17.3. und 12.00 Uhr. Jeder weiß, was gemeint ist.

Als der eingesperrte Moskauer Oppositionelle Ilja Jaschin bei einem Gerichtstermin am Donnerstag gefragt wurde, ob er eine Empfehlung zur Wahl habe, verbat ihm der Richter zu antworten. Ein Mitarbeiter des unabhängigen Nachrichtenkanals Sota war im Saal und bekam doch noch ein Zitat von dem politischen Gefangenen: Wenn er frei wäre, habe Jaschin gesagt, würde er am Sonntagmittag um Punkt zwölf in sein Wahllokal kommen. «Ich bin sicher, dass ich dort vielen anständigen Menschen begegnet wäre, deren Ansichten mir nahestehen.» Jaschin war schon zuvor wegen Diskreditierung der Armee zu acht Jahren Haft verurteilt worden.

Andere plädieren für einen Wahlboykott

Auch der zweite prominente politische Gefangene, Wladimir Kara-Mursa, meldete sich aus dem Gefängnis. Putin brauche diese Wahl, um einen Anschein von Legitimität zu erzeugen, schrieb er in einem Kommentar für die Washington Post. Er riet dazu, ihm diesen Gefallen nicht zu tun: «Die einzige logische, die einzige ehrliche politische Reaktion der Demokratien dieser Welt wäre es, Wladimir Putin nach dem 7. Mai die Anerkennung als rechtmäßiger Staatschef Russlands zu verweigern», schrieb er. Am 7. Mai endet Putins jetzige Amtszeit.

Kara-Mursa muss wegen angeblichen Hochverrats 25 Jahre im Gefängnis absitzen. Er steht der liberalen Partei Jabloko nah, der einzigen echten Oppositionspartei, die in Russland noch existiert. Jabloko hielt sich mit Protestaufrufen zurück, empfahl ihren Unterstützern aber, entweder gar nicht teilzunehmen oder den Stimmzettel ungültig zu machen. Die drei Gegenkandidaten Putins, schrieb Parteigründer Grigorij Jawlinskij, gehörten alle zu Parteien, «die in der Staatsduma einstimmig für repressive und militaristische Gesetze» gestimmt haben. Es gäbe auf dem Wahlzettel keine Alternative zur Politik der Regierung «die Feindseligkeiten fortzusetzen und Menschen zu töten», so begründete er den Boykottaufruf.

Auch Exil-Russen können ihre Stimme abgeben

Für viele ist es der größte Protest, sich ganz zu entziehen, Russland zu verlassen, nicht mehr Teil dieser gefangenen Gesellschaft zu sein. Seit Jahrzehnten gehen Kritiker der Regierung ins Exil, weil sie nicht mehr an ein demokratisches Russland glaubten. Etwa nach Putins Rückkehr in den Kreml 2012, als ihnen klar wurde, dass es erst einmal keine Liberalisierung geben würde. Aber noch nie im neuen Russland sind so viele Oppositionelle im Ausland gewesen wie derzeit, geflüchtet vor den zunehmenden Repressionen. Sie leben in Deutschland und Litauen, in Polen und Georgien, Lettland und Armenien. Sie hoffen von dort auf Veränderungen und können selbst wenig dafür tun.

Natalia Ivanova gehört zu «Demokrati-ja», einer der vielen Exil-Organisationen in Europa, die alle im Kern dieselben Wünsche haben: ein demokratisches Russland und ein Ende des Krieges gegen die Ukraine. Ivanova lebt in Berlin. Am Sonntag, dem Hauptwahltag in Russland, wird sie zu einer «Mittags gegen Putin»-Kundgebung gehen, die Demokrati-ja mit anderen russischen Exilgruppen organisiert. Straßenaktionen, Präsenz und Flagge zeigen, sehr viel mehr können sie nicht tun. In der russischen Botschaft in Berlin kann sie ihre Stimme abgeben: «Ich werde auf dem Wahlschein mindestens zwei Kreuze machen und Nawalny draufschreiben», sagt sie am Telefon. Die Stimme also ungültig machen, «Hauptsache gegen Putin». Demokrati-ja gehört zu «Platforma», einer europaweiten Allianz, die nach eigenen Angaben aus 80 Antikriegsorganisationen besteht, Demokratie-Bewegungen, Menschenrechtlern, Feministinnen. Und das ist auch nur ein kleiner Teil der russischen Exil-Opposition.

Das Spektrum ist groß. Neben Organisationen wie Demokrati-ja oder der Münchner Exil-Gruppierung «Free Russians e.V.», gibt es die bekannten Namen russischer Oppositioneller. Wenige Tage nach Kriegsbeginn wurde im Februar 2022 das russische «Antikriegskomitee» gegründet, mit Michail Chodorkowskij, Garri Kasparow und Wladimir Kara-Mursa. Das Free Russia Forum wiederum, 2016 von Kasparow gegründet, konferiert zweimal im Jahr in der litauischen Hauptstadt Vilnius über die Zukunft Russlands und versucht sich an einer neuen Verfassung, hofft eines Tages auf einen friedlichen und demokratischen Wandel. Mit dabei sind unter anderem der frühere liberale Duma-Abgeordnete Dmitrij Gudkow und Schriftsteller Dmitrij Bykow.

In Russland werden solche Versuche natürlich gebrandmarkt. Kasparow gilt seit der vergangenen Woche nicht nur als «ausländischer Agent», er ist jetzt auch für die russischen Behörden ein «Terrorist» und «Extremist». Leonid Wolkow, ein Nawalny-Vertrauter, wurde diese Woche im Litauen mit einem Hammer angegriffen, sein Arm gebrochen. Das Nawalny-Lager kann praktisch auch nur noch vom Ausland aus arbeiten. Genau das hatte Nawalny immer abgelehnt, weil er meinte, vom Ausland keinen Einfluss mehr auf die Menschen in Russland zu haben.

Über diverse Youtube-Kanäle versuchen die Exil-Russen die russische Bevölkerung zu erreichen. Noch ist Youtube nicht gesperrt. Beliebt ist etwa das Programm von «Populjarnaja Politika» mit Analysen und Interviews. Es hat mehr als zwei Millionen Abonnenten. «An Informationen kommt man in Russland, wenn man denn will», sagt Natalia Ivanova von Demokrati-ja. «Direkte Kommunikation mit den Menschen in Russland ist schwierig», sagt sie, und den Krieg könne man vom Ausland aus nicht stoppen. Von Ohnmacht aber will sie nicht sprechen. Das habe auch Nawalny nicht getan, sagt die Russin.

Bisher haben die Exil-Kritiker keinen gemeinsamen Kurs

Ein Problem der regierungskritischen Exil-Russen ist, dass es bisher keine Person gibt, hinter der sie sich versammeln könnten. Swetlana Tichanowskaja, die belarussische Oppositionsführerin, gilt für die geflüchteten Belarussen als akzeptierte Bezugsperson. Bei den Exil-Russen ist das anders. Garri Kasparow etwa ist für einen Boykott der Abstimmung, andere wie Aktivist Maxim Katz empfehlen, den Kandidaten Wladislaw Dawankow zu wählen. Und Julija Nawalnaja? Die Witwe Nawalnys hat sofort nach dessen Tod angekündigt, seine Arbeit fortzusetzen. «Jetzt hängt alles von Julija Nawalnaja ab», sagt Katz in einem Interview mit der Nowaja Gaseta. Europa. «Sie kann die Opposition vereinen, wenn sie es will.» Aber es wäre immer noch eine Opposition außerhalb Russlands.

So ist die Opposition draußen rührig, aber hilflos. Und die Opposition in Russland kaum noch sichtbar und gefangen. Lange Schlangen haben sich übrigens schon am Freitag vor manchen Wahllokalen gebildet. Von vielen Russen erwartet deren Chef schlicht, dass sie wählen gehen. Dann kann man es auch schnell hinter sich bringen.



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