Rund 220 Millionen Tonnen mineralischer Bauabfälle häufen sich in Deutschland jedes Jahr an, das ist mehr als die Hälfte des gesamten Müllaufkommens. Der größte Anteil entfällt auf Böden und Steine aus Bodenaushub, Baggergut und Gleisschotter. Die restlichen rund 90 Millionen Tonnen setzen sich aus Bauschutt, Bitumengemischen beim Straßenaufbruch, Gipsbaustoffen und Baustellenabfällen zusammen. Rund 90 Prozent aller mineralischen Bauabfälle werden wiederverwertet, vor allem im Deponiebau oder zum Verfüllen von Abgrabungen im Tagebau. Im europaweiten Vergleich steht Deutschland damit gut da. Aber genügt das?
Allein im Bauschutt aus Beton, Ziegeln und Fliesen stecken eine Menge Ressourcen. Die Materialien wurden einst mit hohem Energieaufwand und CO₂-Ausstoß hergestellt. Nach dem Rückbau von Gebäuden und Infrastruktur werden sie vor allem zu Schüttgütern für den Straßen- und Erdbau aufbereitet. Dabei handelt es sich nicht um die oft verwendete Bezeichnung Downcycling, denn hier werden Recyclingmaterialien als Ersatz für Naturschotter oder Kies eingesetzt – die Materialien erfüllen dieselben Anforderungen wie Primärrohstoffe. Recyclingbaustoffe ersetzen insgesamt aber nur 13 Prozent der mineralischen Primärrohstoffe am Bau.
Um mehr Recyclingmaterial auf die Baustellen zu bekommen, wurde vor rund einem Jahr, am 1. August 2023, die Ersatzbaustoffverordnung (EBV) eingeführt. Sie regelt den Einbau von mineralischen Ersatzbaustoffen bei technischen Bauwerken, zum Beispiel Straßen, Brücken, Schienenverkehrswege. Damit wurde erstmalig eine bundeseinheitliche Vorgabe für die Verwertung mineralischer Abfälle als Ersatzbaustoffe geschaffen. Die Materialien müssen nun strenger auf die Möglichkeit einer Wiederverwertung hin geprüft werden. Auch sind Grenzwerte bei Schadstoffen festgelegt.
Teilweise müssen jetzt Bauabfälle zur Entsorgung über weite Strecken transportiert werden
Recycling– und Bau-Unternehmen beklagen, dass die neuen Regelungen eher das Gegenteil bewirken. In einer Umfrage von vier Bau- und Recyclingverbänden sagten nur fünf Prozent der befragten 156 Firmen, dass seit der Einführung der EBV mehr Bauschutt und Bodenaushub recycelt werde. 52 Prozent sahen keine Veränderung – und 42 Prozent der Betriebe erklärten, dass weniger Material für die Wiederverwendung aufgearbeitet werde als zuvor.
„Bei der EBV fehlt der entscheidende Baustein“, sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB), der mittelständische Baufirmen vertritt. „Es fehlt die sogenannte Abfallende-Verordnung.“ Sie hätte klären sollen, unter welchen Umständen mineralische Ersatzbaustoffe einen Produktstatus bekommen, sodass man sie lokal flexibler einsetzen kann. „Diese Regelung ist, anders als erwartet, nicht gekommen, und jetzt haben wir die absurde Situation, dass alles, was an Material ausgehoben oder abgebrochen wird, als Abfall gilt und entsprechend der EBV mit neuen Grenzwerten, neuen Messverfahren und mehr Aufwand belegt ist.“
So konnte man zum Beispiel im Straßenbau den Asphaltabbruch früher direkt wieder als Füllmaterial in der unteren Schicht des neuen Straßenabschnitts verwenden. Der Straßenfertiger nahm das Bruchmaterial vorne auf und hinten kam es klein gehäckselt als neues Baumaterial aus der Maschine wieder heraus. Heute muss man die Asphaltstückchen zuerst beproben, analysieren und dokumentieren. Das kann man auf der Baustelle machen, oft fehlt es jedoch am Platz für die Zwischenlagerung und an der Zeit, die Ergebnisse der Tests abzuwarten.
Viele Bauunternehmen bemängeln in der Umfrage große Unsicherheiten bei der Umsetzung der Anforderungen der EBV in die Praxis. So hätten sich zum Beispiel die Annahmebedingungen bei Aufbereitungsanlagen geändert. Die Realität zeigt, dass hohe Kosten, begrenzte Kapazitäten und komplexe Anforderungen die gesetzeskonforme Verwertung erschweren. Vor allem in Bundesländern mit hoher Bautätigkeit und begrenzten Deponiekapazitäten, wie Bayern, führt dies zu angespannten Situationen. Teilweise müssen Bauabfälle zur Entsorgung über weite Strecken, etwa nach Thüringen, transportiert werden. Nötig seien klare Regelungen und praktikable Verwertungswege, um sowohl die gesetzlichen Anforderungen einzuhalten als auch die Kreislaufwirtschaft zu stärken, heißt es beim ZDB.
Gesunken ist der Umfrage zufolge aber auch die Nachfrage nach mineralischem Recyclingmaterial, da viele Bauherren – auch Behörden – Primärbaustoffe bevorzugen. „Es ist eben einfacher, in der Vergabe-Maske standardisierte Materialien wie ‚Körnung 0/32 für den Straßenbau‘ auszuwählen, und fertig“, erklärt Pakleppa. Bei Ersatzbaustoffen müsse man jetzt umfangreiche Dokumentationen über die EBV-Einhaltung erstellen mit aufwendigen Nachweisen zur Güteüberwachung und Anwendungsprüfung. Einfacher wäre es, wenn Recyclingmaterialien klar definierten Güteklassen oder Produktkategorien zugeordnet wären. „Aber gerade dieses System der Produktklassen fehlt uns ja noch“, moniert Pakleppa.
Auch Länder und Kommunen wollen oft nicht mit Ersatzbaustoffen bauen
Auch der Begriff „Abfall“ schrecke viele Auftraggeber ab, obwohl die Recyclingbaustoffe ebenso gut seien wie neue, darauf weisen die Unternehmen in der Umfrage hin. Auch Länder und Kommunen wollen demnach in vielen Fällen nicht mit Ersatzbaustoffen bauen. „Ich kann das verstehen“, sagt Pakleppa. „Welcher Bürgermeister will schon einen Kindergarten auf Müll bauen und sich dann vor den Eltern dafür rechtfertigen müssen.“ Dennoch hätten Länder und Kommunen eine Vorbildfunktion, sie müssten sich zum Bauen mit Ersatzbaustoffen verpflichten, fordert er.
„Wenn wir die Stoffströme nicht in den Produktstatus bringen, werden wir sie nicht vergleichbar zu neuen Baustoffen in der Breite einsetzen“, sagt auch Johannes Kreißig, Geschäftsführer Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Natürlich gehe es nicht darum, alle Bauabfälle zu Produkten zu machen. Es gehe um Risikoabwägung.
Kreißig weist auf die Sinnhaftigkeit der Verordnung hinsichtlich Boden- und Wasserschutz hin. „Wir wollen doch keine Materialien irgendwo in der Landschaft oder in Infrastruktur vergraben, bei denen wir nicht wissen, was eigentlich drinsteckt, und uns dann Jahre später mit Schadstoffen im Boden und Grundwasser herumschlagen.“ Einerseits. Andererseits könne man auch nicht alles komplett durchregulieren und jegliche Risiken ausschließen, sonst „können wir gar nicht mehr bauen“.
In welch absurde Sackgassen starre Regulierungen führen können, zeigt der Fahrradweg an der Spree gegenüber dem Hauptbahnhof in Berlin. Als er angelegt wurde, fand man in den Proben des Bodenaushubs Dieselrückstände der vorbeifahrenden Ausflugsdampfer. Also durfte das Material nicht wieder eingebaut werden. Stattdessen wurde es auf einer Deponie entsorgt und durch frische Erde ersetzt. Aber natürlich fahren die Dampfer weiter genauso wie vor der Baumaßnahme mit dem Resultat, dass auch der neue Boden mit Diesel belastet ist. Gewonnen wurde hier rein gar nichts.
Wenn jedoch Häuser abgerissen werden, enthalten Abbruchabfälle neben Beton, Ziegeln und Fliesen auch Kleber, Dichtschaum und Dämmmaterialien, oft unlösbar miteinander verbunden. In älteren Gebäuden können darüber hinaus auch noch Gefahrstoffe verbaut worden sein, Asbest etwa. Dass man solche uneinheitlichen Gemische nicht so einfach wieder in den Materialkreislauf zurückführen kann, versteht sich.
„Ich glaube, das Problem sitzt ein Stück weiter vorne“, sagt Johannes Kreißig. Es gehe nicht um eine höhere Recyclingquote, sondern um geringere Baustoffmengen – zumindest im Hochbau. Man müsse in Zukunft weniger abreißen und mehr Bestandsgebäude wiederverwenden. Und die Materialien möglichst sortenrein und mit lösbaren Verbindungen einsetzen, so sein Fazit.
„Es ist wirklich schade, dass wir das Thema Ersatzbaustoffe nicht positiv besetzen“, schließt Felix Pakleppa vom ZDB. „Unsere Firmen wollen damit bauen. Und ich glaube, dass auch viele Architekten und Bauherren Wert auf einen nachhaltigen Baustoffeinsatz legen.“ Doch mit der aktuellen Regelung funktioniert das kaum.