Der Mensch ist ein Herdentier. Besonders in seiner Daseinsform als Tourist. Das gilt sogar für all die Backpacker, sie sich zwar ungemein unabhängig und individuell vorkommen, dann aber doch sämtlich auf denselben Routen unterwegs sind und sich abends in denselben Hostels wiedertreffen, auf Empfehlung von früher „Lonely Planet“ und heute Tripadvisor. Und es gilt erst recht für die Mehrheit der Urlauber, die sich Jahr für Jahr zu Hunderttausenden in Bibione, Benidorm oder Belek einfinden, die in Barcelona, Berlin und Budapest alle dieselben Sehenswürdigkeiten besuchen.
Der Unterschied zwischen den Badeorten und den Metropolen ist: In den Retorten-Strandorten sind die Touristen unter sich, in den Großstädten jedoch stoßen sie auf Zivilisten, die dort nicht ihre Ferien, sondern ihren Alltag verbringen. Der mitunter empfindlich gestört wird, wenn Touristen-Herden Touristen-Dinge tun. Nun ist Fiss, ein Ort in Tirol, weder das Dubrovnik der Berge noch das Amsterdam des Südens, auch wenn das Tourismus-Marketing solche Vergleiche liebt. Aber auch hier, im Oberen Inntal, stoßen Einheimische auf die zeitweise geballte Übermacht der Urlauber, und das bekommt ihnen zunehmend schlecht.
Der Gemeinderat von Fiss hat deshalb jetzt eine Rote Zone eingerichtet im Zentrum des Ortes. Die ist auf keinen Fall zu verwechseln mit einem Rotlichtbezirk, es handelt sich vielmehr gewissermaßen um einen Sperrbezirk. In zwei ortspolizeilichen Verordnungen ist geregelt, was in diesem Bereich seither verboten ist und bei Verstößen gegen diese Maßgaben mit einer Geldstrafe von bis zu 2000 Euro geahndet wird. Die Auflistung ist ziemlich spezifisch. Insofern darf man davon ausgehen, dass es sich nicht um hypothetische, sondern bereits mehrfach tatsächlich eingetretene Ärgernisse handelt.
Zu unterlassen ist: der Konsum von Alkohol und auch das Mitführen geöffneter Behältnisse, die alkoholische Getränke enthalten. In „ungebührlicher Weise störenden Lärm hervorzurufen“ – was darunter zu verstehen ist, wird in der Verordnung noch genauer definiert. Das „öffentliche Urinieren und Defäkieren“ sowie das „öffentliche Erbrechen/Übergeben“. Außerdem das „willkürliche Abstellen, Verschieben oder Verstellen von Gegenständen wie Skiständern, Schildern, Schneestangen, sowie vergleichbare Objekte und Sachen“. Und das Öffnen von Kanaldeckeln.
Man möchte wahrlich nicht in Fiss sein, wenn die Après-Ski-Partys toben, und erst recht nicht, wenn sie zu Ende sind und die – tja, was eigentlich: Skiurlauber? Sportsäufer? Krawall-Carver? –, wenn also diese Touristenherden lautstark und Spuren hinterlassend zurück in ihre Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen torkeln.
Was die Verordnungen nicht regeln, sind Detailfragen. Schleifen beispielsweise Touristen einen der ihren, der nicht mehr selbst gehen kann, in seinen Skistiefeln ins gemeinsame Quartier, was nicht ohne enervierende Kratzgeräusche zu bewerkstelligen, aber fürsorglich ist – fällt das dann unter das willkürliche Verschieben von Gegenständen? Und wenn jemand einen Kanaldeckel öffnet und in das Loch hineinspeit, ist dann das doppelte Bußgeld fällig? Obwohl es doch eigentlich zu begrüßen wäre, dass man sich, wenn es denn sein muss, immerhin direkt in die Kanalisation erbricht. Man hat es auch als Tourist nicht immer leicht.
